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Quarantäne-Talk mit Michaela Gründler

Quarantäne-Talk mit Michaela Gründler

Die Chefredakteurin der Salzburger Straßenzeitung “Apropos” erzählt darüber, wie sie diese außergewöhnliche Zeit mit mehr Ruhe und Bewusstsein erlebt, über ihre Reaktion auf den Entzug ihrer Freiheit und ihren Umgang mit anfänglichem Widerstand.

1. Mit wem gemeinsam bist du in Quarantäne?

Mit mir.

2. Wie sieht dein Tagesablauf aus?

Eigentlich sehr strukturiert. An drei Tagen in der Woche mache ich Homeoffice, an zwei Tagen bin ich in der Redaktion. Seit Jahren beginne ich meinen Tag, indem ich meditiere. Das gibt mir eine gute Ausrichtung für den Tag. Ein bis zweimal die Woche kommt noch Yoga dazu. Ich bin zudem eine Ganzjahresradlerin. Da ich merke, dass mir der tägliche Weg in die Arbeit als Bewegung fehlt (zwischen Josefiau und Schallmoos), habe ich seit Beginn der Quarantäne begonnen, täglich in die Au und entlang der Salzach spazieren zu gehen. Daraus hat sich ergeben, dass ich jetzt mit dem Laufen begonnen habe. Es ist nach zwei Wochen des Ausprobierens zwar noch immer eine Mischung aus Laufen, Gehen, Laufen, Gehen, aber es erfreut mich. Abends lese ich oder ich höre mir erbauliche Impulse meiner Facebook- und Youtube-Kanäle an. Ab und zu treffe ich mich mit Freund*innen und Familie virtuell per Videotelefonie.

3. Was ist für dich persönlich die größte Veränderung?

Der Entzug der Freiheit. Mein Lebensrhythmus ist jetzt nicht großartig anders. Ich habe auch zuvor gerne Zeit zuhause verbracht. Das Wissen, dass ich das jetzt muss, verändert die Wahrnehmung allerdings schon immer wieder. Dass ich meine Familie in Linz und meine Freundinnen nicht treffen und umarmen darf, fehlt mir sehr. Daher gehe ich wohl auch derzeit so gerne spazieren, weil ich da - wie in einer Art Kaffeehaus - zwar alleine, aber doch in Gesellschaft bin. Schön finde ich, dass sich fremde Menschen jetzt grüßen und anlächeln auf der Straße. Das erzeugt ein Gefühl der Verbundenheit.

4. Wofür hast du jetzt endlich wieder Zeit?

Da ich alleine lebe, genieße ich den Luxus, Zeit für mich zu haben. Das war auch zuvor schon der Fall. Insofern kann ich eigentlich nur sagen: ich habe jetzt noch mehr Zeit zu spüren, was mir im Leben wichtig ist.

5. Was hättest du gerne noch getan, wenn du gewusst hättest, dass die Quarantäne kommt?

Ich hatte das ungeheure Glück, eine Woche vor der Ausgangsbeschränkung mit 18 Menschen, die mir wichtig sind, meinen Geburtstag in meiner Wohnung zu feiern – auch meine Familie aus Linz kam zu Besuch. Somit habe ich (fast) alle Menschen, die mir am Herzen liegen, ganz nah gehabt. Welch schöne Fügung, die mich nährt.

6. Gibt es für dich auch Vorteile dieser Zwangspause?

Zu Beginn war ich im inneren Widerstand wegen der Freiheitsbeschränkung, wegen der Sorge um die Auswirkungen auf die Gesellschaft und wie es unseren Straßenzeitungs-Verkäufer*innen ergeht. Wir haben seit Mitte März die Zeitungsausgabe gestoppt. Da war es gut, dass ich die ersten Wochen  normal wie zuvor arbeitete (einen Teil eben von zuhause aus), weil ich gemeinsam mit meinem Team die nächste Zeitung fertig machte und es viele Dinge zu regeln galt, um Unterstützungsangebote für die Straßenzeitungs-Verkäufer*innen zu organisieren. Im Wissen, jetzt alles getan zu haben, was möglich ist, genieße ich es jetzt, an einigen Nachmittagen frei zu haben – und gerade bei diesem schönen Wetter schätze ich diese geschenkte Zeit. Mir kommt zudem vor, dass dies eine Chance für einen Wertewandel sein könnte. Bei meinen Spaziergängen nehme ich Familien wahr, die untertags zusammen spielen in ihren Gärten. Viele Menschen sind nun in der Natur. Der Konsum ist zwangsweise gedrosselt - und da nehme ich bei manchen Straßenzeitungs-Verkäufer*innen, mit denen ich in Kontakt bin, eine Entspannung wahr. Wenn niemand einkaufen kann, macht das "gleicher", kommt mir vor. Es ist ruhiger auf den Straßen und man kann mehr bei sich bleiben. Man ist weniger abgelenkt. Zudem ist es schön, auf einmal wieder von Menschen zu hören, mit denen man schon länger keinen Kontakt hatte. Es wird einem bewusster, wer und was wichtig im Leben ist.

7. Denkst du, dass sich die Welt "danach" verändern wird?

Jede Krise birgt eine Chance – auch wenn dies einem währenddessen nicht immer bewusst ist. Jeder und jede ist derzeit auf sich und das Existentielle in irgendeiner Form zurückgeworfen und gefragt, sich mit sich (und der Welt) auseinanderzusetzen. Das ist nicht immer angenehm, aber langfristig lohnenswert. Da die ganze Welt ihr System herunterfährt, wird jetzt sichtbar, wie unser System funktioniert. Man sieht das Gute, aber auch die Schwachstellen. Jetzt ist die Chance, zu sehen, was man davon behalten möchte und was nicht. Es heißt ja, eine Gewohnheit ist nach 21 (oder je nach Denktradition 40) Tagen gebrochen und eine neue Gewohnheit lässt sich etablieren. Insofern sehe ich eine berechtigte Hoffnung, dass Werte wie Solidarität (etwas, das in diesen Tagen sehr sichtbar geworden ist mit vielen tollen Projekte im Kleinen wie im Großen), Nachhaltigkeit, bewusster Umgang mit Ressourcen, Konzentration auf das Wesentliche etc. eine Chance haben, sich intensiver zu verwurzeln.

8. Wenn die Quarantäne morgen vorbei wäre - was würdest du tun?

Nach Linz fahren, um meine Mama, meine Schwestern und ihre Familien zu besuchen.

9. Was bewegt dich in dieser Zeit am meisten?

Zu Beginn war es die Sorge um unsere Verkäufer*innen – auch wenn jeder Mensch Eigenverantwortung für sein Leben hat. Mir ist noch viel stärker als zuvor bewusst geworden: Es ist so wichtig, zu schauen, dass es einem selbst gut geht. Dass man sich gut nährt, Dinge macht, die einen stärken, um gut in die eigene Kraft zu kommen und in ihr zu bleiben. Denn wenn es einem selbst gut geht, strahlt man dies auch auf andere aus. Wie im Flugzeug: da heißt es, dass sich Eltern zuerst die Sauerstoffmasken aufsetzen sollen und dann erst ihren Kindern. Denn dann können sie gut für diese sorgen.

10. Dein Tipp für alle, die sich jetzt besonders schwer tun?

Jeder Mensch ist anders. Ich kann nur sagen, was mir gut tut. Ich übe mich darin, Dinge so anzunehmen wie sie sind und das Beste daraus zu machen. Also auch den inneren Widerstand, den ich während der ersten Wochen hatte oder die Ängste, die hochgekommen sind. Und ich merke sehr, dass mich die tägliche Bewegung in der Natur erdet.

Hier geht`s zur Straßenzeitung Apropos.

fotocredits © Verena Siller-Ramsl

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