Buchtipp: Rückkehr zur Menschlichkeit (Dalai Lama)
Unsere Welt steckt voller Herausforderungen. Das geistige Oberhaupt der Tibeter gibt in diesem Buch wertvolle Hinweise darauf, wie das Leben dennoch gelingen kann.
“Wohin mit all den Büchern?”, höre ich meinen Mann bei der gemeinsamen Ausmist-Aktion fragen. Kein Wunder - Bücher sind meine einzig wahre Schwäche. Sobald ich in einem Artikel oder einem Podcast von einem spannenden Buch lese, habe ich es auch schon bestellt. Wann immer ich ein Buch lese, schaue ich mir auch das Literaturverzeichnis an und entdecke zumindest fünf weitere Werke, die meine Neugierde wecken. Ich habe mindestens immer zwei Bücher auf meinem Nachtisch liegen und je eines im Wohnzimmer und im Büro. Von der Liste der Hörbücher, die ich in jeder freien Minute voll Genuss höre, gar nicht zu schreiben… Ich liebe es, neue Dinge zu lernen, andere Perspektiven einzunehmen, mein Wissen zu vertiefen und mit neuen Inputs oder Forschungsergebnissen zu verknüpfen. Ich sehe die Sichtweise des Autors als wundervolle Möglichkeit zur Erweiterung meines Sichtweise auf das Leben. Dabei stelle ich mir gerne vor, wie zigtausende Neuronen in meinem Kopf zu neuen Netzwerken werden, manchmal spüre ich es förmlich, wie neue Verbindungen durch neue Ideen entstehen. Ich versuche, zumindest ein Buch pro Monat zu lesen. Selbstverständlich habe ich Themen, zu denen ich besonders gerne lese: Achtsamkeit, Psychologie, Neurobiologie, Verhaltensänderung. Manche Bücher lege ich nachdenklich zur Seite, andere bringen mich förmlich zum Strahlen. Zu letzterem Zustand führen mich die Bücher des Dalai Lamas. Wenn ich unter den vielen hundert Büchern, die ich bisher gelesen habe, eines auswählen und dieses empfehlen sollte, dann wäre es bestimmt das Buch der Freude von Desmond Tutu und dem Dalai Lama. Es zählt zu den Werken, die ich mehrmals gelesen habe und in denen ich jedes Mal wieder so viel Weisheit und Menschlichkeit entdecke, dass mir ganz warm ums Herz wird, wenn ich nur daran denke.
Hier findest du einen Beitrag über, in dem ich von den Grundgedanken dieses wunderbaren Buches erzähle.
In diesem Monat habe ich das Buch “Rückkehr zur Menschlichkeit: Neue Werte in einer globalisierten Welt” gelesen. Auch dieses Buch steckt voller wichtiger Ideen und ist eine echte Bereicherung für mich. Bereits im Klappentext werden die Herausforderungen unserer Zeit (lange vor der Corona-Krise, das Buch ist im Jahr 2011 erschienen) beschreiben:
“Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Terrorismus, Finanzkrise - wir sind weit davon entfernt, glücklich zu sein”
Unser Fokus liegt seit knapp einem Jahr selbstverständlich auf einem ganz anderen Thema, von der Sichtweise des geistigen Oberhauptes der Buddhisten können wir aber im Hinblick auf jede Herausforderung lernen.
Der Dalai Lama beschreibt ein Wertesystem, das uns auf das hinweist, was wirklich wichtig ist, was uns Menschen wirklich glücklich macht.
Einen Grund dafür, warum wir Menschen in dieser Zeit so verloren sind, sieht der Dalai Lama im mangelnden Glaubenssystem. Heutzutage haben viele Menschen keinen Zugang mehr zu einer Religion, einer Gemeinschaft, einem kollektiven Miteinander. Dabei spricht er keineswegs davon, dass wir alle uns an eine der Weltreligionen wenden sollten. Diese haben ihre Probleme, nicht umsonst haben sich so viele von ihnen abgewandt.
“Ich bin ein Mann der Religion, aber die Religion alleine kann nicht all unsere Probleme lösen.”
Vielmehr bringt er die Idee der säkularen Ethik ein. Damit meint der Tibeter, der von seinem Volk als Gott verehrt wird, eine Gemeinschaft die von Mitgefühl und Liebe getragen wird. In der es um Toleranz, Nachsicht und Respekt geht. In unserem Alltag sind wir allzu oft von Wut, Hass, Engstirnigkeit, Eigensinn und Feindseligkeit geleitet. Gerade in Krisenzeiten sind wir so schnell dazu verleitet, über die Entscheidungen und das Verhalten von anderen Menschen zu urteilen.
Mit “säkular” bezieht sich der Dalai Lama auf die indische Bedeutung des Wortes, mit dem so viel wie “Respekt vor und Toleranz gegenüber allen Religionen” und auch “Nichtgläubigen” gemeint ist. Die säkulare Ethik, die er vorschlägt, soll uns eine Richtung vorgeben, um wieder näher zusammenzurücken. Nach seiner Meinung können Menschen “zwar ohne Religion auskommen, aber nicht ohne innere Werte”. In uns allen liegt die Fähigkeit zur Liebe, zur Güte und zur Zuneigung verborgen. Je nachdem, was wir im Laufe unseres Lebens erleben, können wir diesen Fähigkeiten entsprechend handeln. Wenn wir jedoch immer wieder enttäuscht werden, vielleicht von klein auf zu wenig von diesen so wichtigen Formen der Zuwendung erfahren, wenn wir in unserem Leben immer wieder mit Herausforderungen und Krisen zurecht kommen müssen und mit unserem Schicksal hadern, dann fällt es schwer, uns auf diese wohltuenden Tugenden zu konzentrieren und sie auch zu leben.
Ganz gleich, woher wir kommen, aus welchem Kontinent, welchem Land, welcher Stadt, welchem Dorf, welcher Familie wir stammen. Ganz gleich, welchen Beruf wir haben. Ganz gleich, wie wir aussehen oder wie wir das Leben leben - wir alle sind Menschen. Wir alle haben Gefühle, wir nehmen die Welt um uns herum wahr, wir sehen, hören, schmecken, riechen, fühlen sie. Die Erkenntnisse der Neurowissenschaften zeigen uns sogar, dass wir mitfühlen, wenn es anderen Menschen schlecht geht. Wenn ich dich dabei beobachte, wie du dir in den Finger schneidest, verziehe ich unmittelbar das Gesicht und fühle mich, als würde ich mir selbst in den Finger schneiden. Dieses Phänomen wird durch die Spiegelneurone ausgelöst - in meinem Gehirn werden die selben Netzwerke aktiv wie in deinem, wenngleich bei mir dieses Schmerzmuster durch reine Beobachtung aktiviert wird, während du den “echten” Schmerzreiz von deinem Finger bis in dein Gehirn weitergeleitet bekommst. Die Forscher gehen davon aus, dass diese Spiegelneurone einer von zahlreichen Beweisen dafür sind, dass wir Menschen soziale Wesen sind. Dass wir miteinander verbunden sind, durch unsere Ähnlichkeiten, durch unser Empfinden, durch unsere Gefühle. Wir alle streben nach Glück, wir alle möchten geliebt werden, wir alle versuchen, Unangenehmes und Leid abzuwenden. Doch jeder versucht, zu einem großen Teil beeinflusst von der eigenen Geschichte und der jeweiligen Gesellschaft, in der wir gerade leben, seinen ganz eigenen Weg, um dieses Glück zu finden, um das Leid zu verhindern.
Wenn wir uns bewusst machen, dass wir alle viel mehr gemeinsam haben, als uns trennt, öffnen wir uns für ein so wohltuendes Gefühl. Für die Verbundenheit als Mensch. Zahlreiche Forschungsergebnisse der Psychologie zeigen, wie wohltuend diese Haltung ist. Wir erkennen dann, dass wir nicht alleine mit unseren Sorgen und Wünschen sind. Wir sitzen alle im selben Boot: Wir wünschen uns ein gelungenes Leben und müssen uns immer wieder mit unerwarteten Schwierigkeiten auseinander setzten.
Drei Quellen des Glücks
Für den Dalai Lama gibt es drei Faktoren, die zu menschlichem Glück beitragen. Es kommt wohl etwas unerwartet, doch der erste Faktor ist der finanzielle Wohlstand. Selbstverständlich wäre es naiv zu denken, dass wir ohne Geld wirklich glücklich sein können. Denn materieller Wohlstand ist gleichbedeutend mit Freiheit und Würde. Selbst ein Einsiedler benötigt zumindest etwas Geld, um sich Kleidung und Nahrung leisten zu können. Bei der Frage nach dem “genug” erzählt der Dalai Lama vom Tibetischen Wort Kinga Dondhup, was so viel wie “etwas, das uns alle glücklich macht und alle Wünsche erfüllt.”. Es liegt an uns selbst, unsere Freiheit zu behalten und zu entscheiden, wie unsere Wünsche aussehen. Wenn ich mir ständig mehr wünsche, sobald ich ein bestimmtes finanzielles Niveau erreicht habe, dann werde ich nie glücklich sein. Je mehr ich anhäufe, desto größer wird die Angst, es wieder zu verlieren. Die Gier, die in uns ebenso verborgen liegt wie all die wohltuenden Fähigkeiten, lässt sich durch Geld sehr leicht wecken. Sie wächst und gedeiht mit jeder neuen Anschaffung, denn die Freude daran verfliegt schnell und der Wunsch nach neuen Dingen wächst.
Ich denke dabei immer an die Geschichte vom Fischer und dem Geschäftsmann, die mich schon als kleines Mädchen tief beeindruckt hat und mich bis heute begleitet.
Der zweite Faktor ist die Gesundheit: Im Hinblick auf die Gesundheit spricht der Dalai Lama von der körperlichen, psychischen und emotionalen Gesundheit. Den dritten Faktor für das menschliche Glück bildet schließlich die Gemeinschaft. Das echte, wohltuende Miteinander ist der dritte Faktor, den das geistige Oberhaupt der Tibeter als Glücksfaktor beschreibt. Dabei betont er ausdrücklich, dass es um tief verbundenen Beziehungen geht und wir oberflächliche Bekanntschaften nicht als echte Freundschaft betrachten sollten. Wie wir diese beiden voneinander unterscheiden können? Wir können uns fragen, ob wir das Gegenüber ohne Status, Beruf, Geld oder gutem Aussehen wahrnehmen würden. Wären wir noch genau so gerne mit diesem Menschen beisammen, wenn er “nur” der wäre, als der er auf diese Welt gekommen ist. Das pure menschliche Wesen mit all seinen Stärken und Schwächen? Der Beginn dieser tiefen, eng verbundenen Freundschaften liegt laut dem Dalai Lama in uns selbst. Er erzählt von einem Mönch, der fünf Jahre lang als Einsiedler gelebt hat und dennoch diese echte, authentische Liebe und wahres Mitgefühl ausgestrahlt hat. Er hatte während dieser Zeit der Einsamkeit über die Liebe meditiert und war “der Inbegriff eines Menschen, der allein lebt, ohne einsam zu sein.”
Wie oft fühlen wir uns einsam, obwohl wir von andern umgeben sind? Fühlen uns verloren, fehl am Platz? Um das zu ändern ist es so wichtig, selbst mit einer Haltung der inneren Liebe und der Warmherzigkeit gegenüber unseren Mitmenschen zu leben.
Wir Menschen sind unser Leben lang auf Liebe und emotionale Wärme angewiesen. Eine Mutter umsorgt ihr Baby (wenn dies möglich ist) mit all ihren Kräften. Die bedingungslose Liebe ist das wertvollste Geschenk, das Eltern ihren Kindern machen können. Wenn unser Lebensende naht, wünschen wir uns die Nähe von Menschen, die uns beistehen. Wenn wir mehr Liebe in unser Leben bringen wollen, so rät der Dalai Lama dazu, mit uns selbst zu beginnen.
Mitgefühl und Liebe entwickeln
Es reicht nicht, wenn wir unser Denken verändern. Wir müssen auch danach handeln. Wenn wir mitfühlender, gütiger und toleranter werden wollen, dann ist es so wichtig, bei uns selbst zu beginnen. Dies können wir durch tägliches Üben erreichen.
Die Buddhisten haben eine jahrtausendealte Tradition des lojong, des Geistestrainings. Mit diesen Übungen, die auch die Grundlage der heute immer weiter verbreiteten Mentaltrainings und Meditationen sind, können wir in uns schlummernde Fähigkeiten wie Mitgefühl, Geduld, Genügsamkeit, Selbstdisziplin und Großzügigkeit trainieren.
Dies gelingt uns durch Achtsamkeitsübungen. Sie machen uns bewusster im Umgang mit unseren Gefühlen und Gedanken sowie dem, was wir tun (oder sein lassen). Wir erkennen, in welchen Situationen wir besonders streng mit uns umgehen und uns selbst nieder machen, obwohl wir selbst Mitgefühl benötigen würden. Durch mehr Achtsamkeit können wir beginnen, uns selbst die Liebe zu schenken, die wir dann auch unseren Mitmenschen geben möchten.
Gemeinsam für eine bessere Welt
Der Dalai Lama beschreibt noch weitere fundamentale Bereiche, die wir - jeder für sich - in unserem Leben “richtiger” machen können, um diese Welt in eine bessere Richtung zu lenken: Von der liebevollen Erziehung unserer Kinder über das Bewusstsein für unseren Einfluss auf die Umwelt bis hin zum richtigen Umgang mit dem technischen Fortschritt.
Meine Meinung zu diesem Buch:
Dieses Buch hat mich wie auch das Buch der Freude von Desmond Tutu und dem Dalai Lama sehr beeindruckt. Es ist mit 221 Seiten im Taschenbuchformat sehr gut Kapitel für Kapitel lesbar, da jeder Abschnitt voller Weisheit und Liebe ist. Wie alle Dinge, die dieser Mann uns mitteilt strahlt auch dieses Buch seine bedingungslose Liebe und Mitmenschlichkeit aus. Es ist eine Wohltat, in diesem Buch zu lesen. Eine klare Leseempfehlung - auch als Geschenktipp!
Hier kommst du zur Info des LÜBBE-Verlags.
Annehmen, was ist: Wie Akzeptanz uns jetzt weiter bringt
Das Leben ist immer unvorhersehbar. Durch bewusste Akzeptanz gelingt es uns, besser durch bewegte Zeiten zu kommen.
In einer Zeit, in der Selbstoptimierung ein Hobby geworden ist, betrachten wir unser Leben gerne als Challenge, die es bestmöglich zu meistern gilt. Mit dem Bewusstsein, dass unser Leben keine Generalprobe ist und wir unsere Zeit bestmöglich “nutzen” sollen, versuchen immer mehr Menschen, das Allerbeste aus ihrem Leben zu machen. Dieses größere Bewusstsein bringt viel Gutes mit sich. Mehr Gesundheit und Wohlbefinden, mehr Bestätigung unserer Selbst, weil wir uns bemühen, konsequent und diszipliniert unsere Ziele zu verfolgen. (Vermeintlich) mehr Sicherheit, weil wir einen gewissen Bereich unseres Lebens beeinflussen und kontrollieren können. Mehr Erfolg, weil wir uns selbst sagen “Du schaffst das schon, bemüh dich, halte durch!”
Höher, schneller, weiter?
“Mit Disziplin, Ausdauer und Fokus kannst du alles erreichen”, lautet ein Credo der Leistungsgesellschaft. In vielen Bereichen hat diese Annahme durchaus ihre Berechtigung. Und doch gibt es immer wieder Situationen in unserem Leben, die wir weder durch große Anstrengung noch durch verbissene Ausdauer meistern können. Schlichtweg deshalb, weil im Leben nicht alles machbar ist. Diese Tatsache passt so gar nicht zu unserer “Höher, schneller, weiter”-Mentalität. Wenn wir jedoch verbissen daran festhalten, dass alles so sein soll, wie wir es haben möchten, dass wir alles beeinflussen können, wenn wir uns nur genug bemühen oder ständig denken “das doch nicht so sein kann”, laufen wir Gefahr, an unseren Erwartungen zu verzweifeln.
Kontrollverlust: Die Angst vor der Unsicherheit
Wir leben mit vielen Erwartungen, Projektionen und Verzerrungen, die dazu führen, dass wir mit unangenehmen Herausforderungen nicht zurecht kommen. Die starke Präsenz vom “perfekten Leben” auf den diversen social media-Kanälen verstärkt diese falschen Bilder der Realität noch mehr. Doch wenn wir im “echten Leben” dann einer schwierigen Situation, einer großen Herausforderung oder gar einer Krise begegnen, fühlen wir uns überwältigt und ohnmächtig. Die Unsicherheit darüber, was die nächsten Tage, Wochen und Monate mit sich bringen, macht uns Angst. Wir haben das Gefühl, jegliche Kontrolle zu verlieren. In solchen Zeiten beginnen wir zu schimpfen, zu jammern, zu hadern. Die Empörung, die Ohnmacht, die Angst, die Wut, die Traurigkeit, die Orientierungslosigkeit … sie alle sind normale, ganz menschliche Reaktionen auf diese Herausforderungen. Doch bringen sie uns wirklich weiter?
Die Anleitung für ein erfülltes Leben
Gerade in schwierigen Zeiten lese ich gerne in einem der aus meiner Sicht wertvollsten Bücher: “Das Buch der Freude”. Dieses wunderbare Sammlung an Lebensweisheiten beschreibt den persönlichen Austausch zweier Freunde, die zugleich zu den bedeutendsten Persönlichkeiten unserer Zeit gehören: Der Dalai Lama, das Oberhaupt der Tibeter und des tibetischen Buddhismus, und Desmond Tutu, dem Erzbischhof der Anglikanischen Kirche in Südafrika, neben Nelson Mandela einer der wichtigsten Symbolfiguren im Kampf gegen die Apartheid. Beide wurden für ihren Einsatz mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
In dieser rund 400 Seiten umfassenden Sammlung an persönlichen Geschichten, berührenden Anekdoten und wertvollen Lebensweisheiten beschreiben die beiden “Brüder im Geiste” acht Säulen der Freude. Die vierte Säule ist jene der Akzeptanz.
Akzeptanz als Grundlage der Freude
In der buddhistischen Tradition zielen viele Übungen darauf ab, uns von unseren überzogenen Erwartungen zu befreien. Gerade eine Krise, wie sie durch das Corona-Virus über uns hereingebrochen ist, lässt viele verzweifeln. Doch wenn wir versuchen, klar und distanziert zu denken, erkennen wir: Diese Verzweiflung, diese Wut, dieses Hadern, bringt uns nicht weiter.
“Stattdessen können wir akzeptieren, dass (…) wirklich schwierig ist und wir (…) gern verbessern würden. Wir müssen damit nicht unbedingt Erfolg haben, aber wir können es wenigstens versuchen”, erklärt der Dalai Lama im “Buch der Freude” anhand eines anderen Beispiels. Wir können in schwierigen Situationen also versuchen, eine Verbesserung zu erlangen. Dies geschieht jetzt gerade, indem sich viele Menschen auf die positiven Seiten dieser ungewöhnlichen Zeit fokussieren: Weniger Hektik, mehr Zeit zuhause, mehr Ressourcenschonung. Durch die Veränderung unserer Einstellung können wir also ein Stück besser mit dieser Herausforderung umgehen. Und doch bringt diese Krise Veränderungen mit sich, die keine positiven Nebeneffekte haben: Soziale Vereinsamung, finanzielle Einbußen, Existenzängste, erschwerte Bedingungen in vielen Alltagsbereichen, den Verlust von geliebten Lebensgewohnheiten, schwierige Situationen im neuen Alltag zuhause…
“Mit der Zeit (…) vielleicht weniger schwierig. Vielleicht aber auch nicht. Darüber haben wir keine Kontrolle, doch wir haben unseren geistigen Frieden bewahrt”, so der Dalai Lama weiter.
Akzeptanz ist der einzige Ort, an dem Veränderung beginnen kann. (Dalai Lama)
Trotzdem ja zum Leben sagen
Akzeptanz ist niemals passiv. Sie ist eine aktive, bewusste Entscheidung, das Leben trotz all seiner Schwierigkeiten anzunehmen. Das Leben besteht aus Sonnenstunden und Schattenstunden, auch wenn wir letztere so gerne vergessen, verdrängen, verteufeln. Und doch, oder gerade deshalb, können wir “Trotzdem ja zum Leben sagen”, wie der Titel des weltberühmten Buch des Österreichischen Arztes und Psychotherapeuten Viktor E. Frankl es so treffend beschreibt. Frankl hatte als einziger seiner Familie das KZ überlebt und musste nach seiner Entlassung erfahren, dass sowohl seine Mutter als auch seine geliebte Frau deportiert worden waren. Nach einer intensiven Zeit der Trauer und Verzweiflung gelang es Frankl, das Leben trotzdem, oder gerade deshalb, als sinnvoll zu betrachten.
Die Zukunft planen ohne Erwartungen
Eine andere Weisheit, die mich bestärkt, ist die buddhistische Annahme, dass wir Ziele benötigen, um uns zu motivieren und uns zu entwickeln, und zugleich jedoch nicht zu sehr darauf fokussieren oder gar anhaften sollten. Für unser Leben bedeutet dies: Wir können unsere Ziele verfolgen, uns voll Hingabe und Disziplin darauf freuen, sie zu erreichen, uns die Zukunft nach unseren Vorstellungen ausmalen und unser Bestes geben, um dorthin zu gelangen. Und zugleich dürfen wir uns loslösen von der Erwartung, dass das Leben genau nach unseren Vorstellungen verlaufen wird. Davon, dass die Zukunft so aussehen wird, wie wir sie uns wünschen. Von den Projektionen und Vorstellungen, die unserem Ego entspringen.
Man lernt, wenn etwas passiert
In der Theorie klingt diese Erkenntnis sinnvoll und beinahe banal. In der Praxis erfordert es einiges an Übung, dem Leben mit echter Offenheit und Akzeptanz zu begegnen. Schnell kommen Ungeduld und Selbstvorwürfe auf, wenn ich es nicht schaffe, achtsam zu sein und das Leben mit all seinen Herausforderungen zu akzeptieren. Wenn ich damit hadere, ich wütend werde, traurig bin, mich leid sehe, weil meine Zukunft nicht jene ist, die ich mir ausgemalt hatte. Dann erinnere ich mich an die Worte von Erzbischof Tutu: “Es ist wie mit Muskeln, die man trainieren muss, damit sie stark sind. Manchmal werden wir wütend auf uns selbst, weil wir glauben, wir müssten perfekt sein.” Ja, dieses Gefühl kenne ich nur zu gut. “Aber unsere Zeit auf Erden ist dafür da, dass wir lernen, gut zu sein, mehr liebevoller zu sein, dass wir lernen, mehr Mitgefühl zu haben. Und das lernt man nicht theoretisch. Man lernt, wenn etwas passiert, das einen auf die Probe stellt.”
Das Leben ist immer unvorhersehbar, unkontrollierbar, im positiven wie im schwierigen Sinne. Akzeptanz hilft uns dabei, mit den Herausforderungen bewusst umzugehen und das Leben zu nehmen, so wie es ist: Als wundervolles Geschenk.
Hier findest du die Übung für mehr Akzeptanz.
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Akzeptanz lernen: Die buddhistische Praxis des Dalai Lama
Je gelassener wir mit den Herausforderungen in unserem Leben umgehen können, desto glücklicher sind wir.
Wenn es darum geht, unser Verhalten zu verändern, besser mit Gedanken und Gefühlen umzugehen, müssen wir in unserem Gehirn eine neue Autobahn aufbauen. Die Art und Weise, wie du bisher auf Situationen reagierst, hast du dir ebenfalls in der Vergangenheit angewöhnt – nur ist dieser Prozess ganz unbemerkt passiert, weil du nicht darüber nachgedacht hast. Du hast vielleicht deine Eltern, Geschwister oder Freunde dabei beobachtet, wie sie mit unangenehmen Situationen umgehen. Oder hast im Fernsehen gesehen, was die Gesellschaft so im Allgemeinen vom Leben erwartet und hast diese Werte für dich übernommen. Du hast vielleicht auch unbemerkt die Werte deines Partners übernommen, wie es in Beziehungen so üblich ist.
Gefangen in alten Verhaltensmustern
An all diesen sehr menschlichen Verhaltensweisen ist nichts aus zusetzten, außer dich selbst stören deine Reaktionen: Die Gedanken, die du dir machst, wenn du über globale Entwicklungen nachdenkst. Dieser Widerstand der aufkommt, wenn du dich eigentlich auf den Weg ins Fitnessstudio machen solltest. Die Selbstzweifel die dich innerlich zerreißen, wenn deine Nachricht nicht sofort beantwortet wird. All diese Reaktionen hast du irgendwann einmal gelernt und du kannst von Tag zu Tag lernen anders, für dich und dein Leben besser darauf zu reagieren.
Achtsamkeit und Akzeptanz
Der erste Schritt zur Veränderung ist die Achtsamkeit. Wenn du dir deiner automatischen Muster erst einmal bewusst wirst, kannst du sie verändern. Der zweite Schritt zu einem besseren Umgang mit den Herausforderungen des Lebens ist die Akzeptanz. Denn wenn es dir gelingt, auch schwierige Umstände zu akzeptieren und diese als Teil des menschlichen Lebens anzunehmen, kannst du gestärkt und bewusst leben. Akzeptanz bedeutet: „Das Leben so anzunehmen, wie es ist, ohne zu fordern, dass es anders sein muss.“ Akzeptanz lässt sich trainieren wie ein Muskel. Durch das tägliche Üben baust du in deinem Gehirn quasi eine Akzeptanzautobahn – eine offene, bewusste und akzeptierende Haltung wird Teil deiner Persönlichkeit. Vorausgesetzt, du übst regelmäßig über einen Zeitraum von zumindest drei Wochen. Wie beim Muskeltraining gilt auch für alle Bewusstseinsübungen: Je länger und öfter du übst, desto besser.
Diese Übung entstammt der Buddhistischen Tradition und zählt zu den Meditationen, die auch der Dalai Lama regelmäßig praktiziert.
Übung für mehr Akzeptanz: „Es ist, wie es ist“
1. Setze dich bequem hin und schließe die Augen.
2. Atme drei Mal tief durch die Nase ein, lasse den Atem bis in den Bauch hinab reichen und atme wieder vollständig durch Mund aus.
3. Achte darauf, was du rund um dich herum hörst. Nimm alle Geräusche einfach zur Kenntnis. Die Welt ist mit Geräuschen belebt, es ist, wie es ist. Wenn Gedanken, Gefühle oder Bewertungen gegen diese Geräusche auftauchen, dann lasse diese einfach weiterziehen. Wie Wolken am Himmel, wie Wellen, die kommen und gehen.
4. Konzentriere dich nun auf deinen Atem und beobachte, welche Gedanken und Gefühle auftauchen. Vielleicht spürst du etwas Unangenehmes in deinem Körper, vielleicht zwickt es an einer Stelle oder drückt es an einer anderen. Vielleicht kommen auch Gedanken daran, was du da überhaupt tust, was du stattdessen alles zu tun hättest und an das, was du heute noch erreichen musst.
5. Wenn diese oder ähnliche Gedanken auftauchen, lasse sie einfach weiterziehen. Wie Wolken am Himmel, wie Wellen, die kommen und gehen.
6. Beginne, diese Gedanken zu beobachten, ohne sie zu beurteilen.
7. Denke nun ganz bewusst an eine Situation aus deinem Leben, die zu akzeptieren dir schwerfällt. Es kann sich um Schwierigkeiten mit deinem Partner, Konflikte mit den Kindern, Erkrankungen von dir wichtigen Menschen, Probleme in der Arbeit, eigene Verhaltensweisen oder globale Entwicklungen handeln.
8. Denke daran: So ist die Wirklichkeit. Diese schmerzlichen Herausforderungen passieren, die schweren Zeiten gehören zum Leben so wie die schönen. Schmerzliche Realitäten passieren uns und den Menschen, die wir lieben.
9. Stelle dich der Tatsache, dass du nicht alle Faktoren beeinflussen kannst, die zu dieser Situation geführt haben.
10. Akzeptiere nun ganz bewusst, dass das, was passiert ist, passiert ist. Du kannst nichts mehr tun, um die Vergangenheit ungeschehen zu machen.
11. Sage dir: „Um das beste aus einer Situation machen zu können, muss ich erst einmal ihre Realität akzeptieren. Es ist, wie es ist.“
12. Nimm dann noch drei tiefe Atemzüge: Atme durch die Nase ein, vollständig bis in den Bauch hinunter. Und durch den Mund wieder aus.
13. Öffne die Augen und spüre nach, wie diese kurze Übung deine Haltung innerhalb von wenigen Minuten verändert hat.
14. Durch das tägliche Üben verinnerlichst du dieses gute Gefühl zu einem echten Teil deiner Persönlichkeit, in deinem Gehirn wird eine neue Autobahn ausgebildet, die alte, zweifelnde, kritische Autobahn verkümmert nach und nach.
Diese Übung habe ich aus dem “Buch der Freude” von Dalai Lama und Desmond Tutu, entnommen.
(© The Dalai Lama Trust, Desmond Tutu & Douglas Abrams. Das Buch der Freude. München: Heyne)